"Kann ich mit diesem Thema überhaupt etwas anfangen?" Rückblickend auf die vergangenen Hegelwochen sprach Oberbürgermeister Andreas Starke schon in seiner Begrüßung das aus, was manchem kunstgeschichtlich weniger Versierten vor der Hegelwoche vielleicht durch den Kopf gegangen sein mag. Denn „bei manchen Themen der vergangenen Hegelwoche verstand der ein oder andere nur Bahnhof“, resümierte Starke. Aber natürlich nicht bei allen Themen war und ist das der Fall. Zumindest bei der ersten Auftaktveranstaltung der diesjährigen Hegelwoche traf die Befürchtung jedenfalls nicht ein. Das Motto lautete dieses Mal „Schön und scheußlich? Wege der Ästhetik jenseits der Hässlichkeit“.
Bereits Oberbürgermeister Starke zeigte in seiner Begrüßung auf, dass die Streitfrage um Schönheit und Scheußlichkeit nicht nur die alten Römer beschäftigte, sondern dass auch heute sogar unser schönes Bamberg Schauplatz von Ästhetikdebatten ist. So erregte in letzter Zeit nicht nur die Frage nach der Umgestaltung der Unteren Mühle Aufmerksamkeit, welche seit langem ihr tristes Dasein im Schatten der Postkartenidylle des Alten Rathauses fristet. Auch der geplante Bau eines gläsernen Gebäudes inmitten der geschichtsträchtigen Häuser zwischen der Oberen Königsstraße und der Kettenbrücke wird momentan hitzig diskutiert. Während die einen in einem solchen Bauvorhaben den Untergang des Denkmalschutzes sehen, erläuterte Starke, feiern die anderen das Bauvorhaben als Paradebeispiel moderner Architektur. Vielleicht, so scherzte der Oberbürgermeister, hätten die Entscheidungsträger lieber die ästhetischen Erkenntnisse der Hegelwoche abwarten sollen, um den richtigen Entschluss über den Bau zu treffen.
In eine ganz andere, überraschende Richtung leitete Prof. Dr. Christian Illies in einer Einführung anschließend die Besucher der Auftaktveranstaltung, die in der Aula der Universität stattfand. Der Wissenschaftler, der an der Uni Bamberg Philosophie lehrt, suchte den Ursprung der Frage nach Schönheit oder Hässlichkeit im naturwissenschaftlichen Bereich. „Die Wurzeln dieser Frage sind viel älter, als Sie ahnen, noch weit vor Hegel und den Germanen“, erklärte Illies. Sie gingen zurück auf jenen Moment in der Evolution, in dem die sexuelle Selektion begann. Am Ende dieser Evolution stehe dann ein solch prachtvolles Geschöpf wie der Pfau, so Illies. Auch der Mensch mit all seinen Äußerlichkeiten, die wir tagtäglich als selbstverständlich und gegeben betrachten, sei Resultat dieses Prozesses. Dabei reagieren wir Menschen selbst äußerst stark auf Ästhetik. So habe keiner der Besucher die Aula betreten können, ohne sich ein ästhetisches Urteil über diesen ungewöhnlichen Veranstaltungsort mit seinen schneeweißen Wänden und den stellenweise freigelegten Wandmalereien zu bilden.
Doch was ist eigentlich schön, was ist hässlich und wer legt das fest? In seinem Vortrag „Die Erfindung der Hässlichkeit“ nahm Prof. Dr. Andreas Grüner von der Uni Erlangen das Publikum mit auf eine Reise in die Kunstgeschichte des siebten bis zum zweiten Jahrhundert vor Christus. Mittels projizierter Bilder von einigen ausgewählten Kunstgegenständen führte Grüner die Zuschauer in die ästhetischen Vorstellungen dieser Epoche ein. Eins vorab: Die Gegensätzlichkeit von Schönheit und Hässlichkeit zieht sich bis heute durch die gesamte Bild- und Kunstgeschichte.
Im siebten Jahrhundert v. Chr. explodierte die Bilderwelt, erzählte Grüner. Gefährlich wirkende, scheinbar aus der Zwischenwelt von Mensch und Tier stammende Dämonen wurden das erste Mal künstlerisch festgehalten und besiedelten fortan Kunstgegenstände wie Vasen oder schlängelten sich beispielsweise mit ihren halb-Mensch-halb-Reptilienkörpern an Wänden entlang. Auch setzten Künstler ab dieser Zeit deformierte menschliche Körper in Kontrast zu wohlgeformten Idealbildern des Menschen. Durch diese Gegenüberstellung wird nicht nur das Hässliche bereits auf den ersten Blick als Gegenteil des Schönen begreifbar, sondern man begann auch den beiden Seiten ethische Qualitäten zuzuordnen: Der ästhetisch ansprechende Held verkörpert das Gute, während sein deformiertes Gegenüber Abscheu und Ekel hervorruft und zur Repräsentation des Bösen wird.
Im sechsten Jahrhundert v. Chr. waren alkoholische und sexuelle Exzesse kein ungewöhnliches Bildmotiv. Eine bewusste Anti-Ästhetik wird mit dem Kontext des Komischen gekoppelt, erklärte Grüner. Das Lustige wurde zum ersten Mal bildlich dargestellt, eine Entwicklung, die sich beispielsweise im zweiten und dritten Jahrhundert durch die massenweite Produktion von kleinen, bizarr-hässlichen Dekorationsfiguren zeigte.
Eine interessante Wendung nahm die Ästhetik im vierten Jahrhundert v. Chr. Während sich zuvor die Klassik durch die Darstellung perfekter Körper und Gesichtsformen auszeichnete, wurde diese mathematisch berechenbare Schönheit damals durch eine möglichst naturgetreue Abbildung der Realität abgelöst. Seitdem, so erklärte Grüner, besitzt das Schöne zwei unvereinbare Bezugspunkte: Die ästhetisch perfekte Gestaltung gegenüber einer möglichst naturgetreuen Abbildung.
Im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. spiegelte das Äußere dann auch vermehrt innere Zustände, wie Kontrollverlust, wider. In dieser Zeit entstanden beispielsweise Abbildungen von Bettlern, Kranken und sozialen Außenseitern. Grüner zeigte auf einer seiner Präsentationsfolien beispielsweise eine lebensgroße schwarze Marmorstatue. Sie stellt einen armen, ausgemergelten Fischer dar; ein Bildnis, welches auf die damaligen, aus der Oberschicht stammenden Betrachter wohl eine ungeheure Faszination ausgeübt haben muss.
Besonders die bisher mit den Gedanken der Ästhetik wenig vertrauten Besucher der Hegelwoche dürften ihren Heimatweg nach Grüners Vortrag mit einem neuen Blick auf ihre Umwelt angetreten haben. So betrachtet der eine oder andere nun vielleicht etwas bewusster die steinernen, zähnefletschenden Löwenköpfe, die an den Häuserwänden über Bambergs Straßen wachen oder die Posen der durchtrainierten Models in Werbefotografien in den Schaufenstern. Die Ästhetik des Schönen und des Hässlichen spiegelt sich in unserem Alltag viel öfter wider als einem bewusst ist. Die Wege der Ästhetik sind definitiv ein in unserem Alltag zutiefst verankertes, aber trotzdem kaum bewusst wahrgenommenes Thema, welches die große Aufmerksamkeit einer Veranstaltungsreihe wie der Hegelwoche allemal verdient hat.