"Wo stehen wir?" fragt das ETA Hoffmann Theater in der neuen Spielzeit

"Wo stehen wir?" fragt das ETA Hoffmann Theater in der neuen Spielzeit

20. Mai 2020Gast

"Wo stehen wir" heißt das Thema der neuen Spielzeit 2020/21 des ETA Hoffmann Theaters. Nicht nur das Theater, sondern die ganze Welt kann sich vermutlich gerade diese Frage stellen. Dabei ist nicht nur zu überlegen, wo wir uns auf dem Weg durch die Krise befinden - sondern auch, wo die Welt als solches und jeder persönlich sich gerade verortet und auf welches Ziel wir hinstreben. Es ist eine Frage der Gegenwart und der Zukunft - wird nach der Krise alles sein wie vorher oder ganz anders? Vielfältige Perspektiven greifen die Stücke der Spielzeit dazu auf - und leisten damit eine Bestandsaufnahme der Gegenwart und einen Blick in eine ungewisse Zukunft.

Die neue Spielzeit wird mit einem Stück eröffnet, welches aus der letzten Spielzeit umgezogen ist. Die Komödie Der Kirschgarten von Anton Tschechow erzählt die Geschichte einer mit Schulden belasteten Familie, welche vor den Trümmern der Gegenwart steht und erkennen muss, dass Gefühlsduselei auf dem Weg in die Zukunft keinen Platz hat.

Einen kritischen Blick auf die Gegenwart wagt das Auftragswerk Die Polizey von Björn SC Deigner, welches auf Fragmenten des gleichnamigen, unvollendeten Stückes Schillers aufbaut. Was ist die Polizei für die Gesellschaft - der allumfassende Schutzapparat oder der blinde Fleck? Und was passiert, wenn die Polizei plötzlich nicht mehr für, sondern gegen die Gemeinschaft arbeitet? Björn SC Deigner ist dem Publikum bereit mit dem Stück "Der Reichskanzler von Atlantis" aus der letzten Spielzeit bekannt.

Ein Blick in die Zukunft ist im aktuellen Gesellschaftsdiskurs meist auch ein Blick auf die Natur, und damit verbunden müssen wir uns die Frage stellen: Wie viel Wert ist uns die Umwelt? Und wie viel Wert ist uns der Kapitalismus? Diese Waagschale thematisiert die Klimatrilogie paradies fluten/hungern/spielen von Thomas Köck. Auch dieses Stück war ursprünglich für die letzte Spielzeit geplant.

Lässt sich mit der aktuell gültigen Norm Vergangenes beurteilen? Ein gutbetagter Lehrer kurz vor der Pension steht im Schlaglicht einer solchen Diskussion, als bekannt wurde, dass er seine Schützlinge früher mit dem Stock gezüchtigt hat. In Der Stock von Mark Ravenhill prallen althergebrachte Vorstellungen auf die Moralvorstellungen der Gegenwart und liefern sich einen Schlagaustausch.

Dass sich der Mensch als Krone der Schöpfung sieht, ist weitreichend bekannt. Ob er sich auch so verhält, sei dahingestellt. Mit einem Augenzwinkern stellt Gott ist 3 Frauen von Miroslava Svolikova jedoch fest, dass der Mensch keineswegs der Mittelpunkt der Welt ist, und die Vorstellung einer stetigen Höherentwicklung des Menschen "von oben" betrachtet vielleicht doch etwas anders aussieht.

Ist der große Aufschwung auch gleichzeitig der Untergang? Eine Familientragödie erzählt der Roman Effingers von Gabriele Tergit (bearbeitet von Remsi al Khalisi), der als glorioser Aufstieg einer Familie beginnt und mit der Deportierung in ein Vernichtungslager im Jahr 1942 endet.

Politische Wachheit als Apell - ein brandaktuelles Thema behandelt Hannah Arendt in Die Banalität des Bösen (inszeniert von Clemens Bechtel). Am Prozess gegen Adolf Eichmann wird verdeutlich, dass nicht nur in austaxierter Raffinesse, sondern ebenso in gedankenloser Oberflächlichkeit das Böse seinen Ursprung nehmen kann.

Wie nahe ist die Apokalypse? Ein millionenschweres Paar, das in Reichtum schwimmt, bildet die Kulisse für Der Riss durch die Welt von Roland Schimmelpfenning. Gerade noch himmelhochjauchzend wird das Paar von biblischen Plagen heimgesucht und das Glück scheint einen Sprung zu bekommen.

Der Klassiker Kasimir und Karoline von Ödön von Horváth ist dem schmalen Grad des menschlichen Strebens nach Glück (oder was man dafür hält) gewidmet. „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen" (Karoline: in Kasimir und Karoline)

Ein Regen voller Gold für die Probleme der Welt? In Gold von Philipp Gärtner bringt dieser Regen den Menschen kein Leben in Reichtum und Zufriedenheit, sondern Zerstörung und Verderben. Auch hier wird der Kapitalismus auf den Prüfstand genommen.

Mit Was ihr wollt von William Shakespeare bringen die Calderon-Festspiele zum Abschluss einen weiteren Klassiker auf die Bühne - in dem die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmen und man sich den Irrungen und Wirrungen der Erzählung für einen Moment hingeben kann.

Bildnachweis: 
Martin Kaufhold

Gloriose Spielzeit und digitale Pause - Das ETA Hoffmann-Theater zieht Bilanz

Gloriose Spielzeit und digitale Pause - Das ETA Hoffmann-Theater zieht Bilanz

25. April 2020Gast

Eine erfolgreiche Spielzeit, die leider viel zu früh enden musste - das ETA Hoffmann-Theater zieht die Bilanz der Saison 2019/20. Für Kulturfreunde ist das Theater weiterhin in den sozialen Medien und auf Youtube aktiv und überbrückt damit digital die Zeit des Wartens.

Ein Rückblick auf die Spielzeit "Fortschritt"

Unter dem Thema "Fortschritt" zeigte das Theater in der Spielzeit teils vergnügliche, teils äußerst kritische Stücke:

Die erste Premiere der Spielzeit feierte das Stück Faust1In2 von Johann Wolfgang Goethe. Mit einer Verflechtung beider Faust-Werke holte das Theater ein literarisches Meisterwerk auf die Bühne.

Darauf folgte mit Reichskanzler von Atlantis von Björn SC Deigner eine teils humoristische, teils erschreckende Farce auf eine nicht unbekannte und nicht zu unterschätzende Szene der deutschen Gesellschaft.

Sieben Nächte von Simon Strauß glänzte mit einer schlichten Inzenierung der sieben Todsünden und zeigte, dass jeder Mensch nah am Abgrund steht und auch in alltäglichen Dingen das moralisch Verwerfliche zu finden ist.

Einen weiteren Klassiker holte das Theater schließlich mit Bunbury auf die Bühne, der, mit modernen Themen vermischt, eine bunte Zerstreuung zum Jahreswechsel bot.

Skurril und irgendwie unheimlich wagte sich Bonn Park mit Das Deutschland in das Genre des Horrors. Eine perfekte Familile, bei der langsam die Fassade bröckelt, und eine für den Zuschauenden befremdliche Atmosphäre ist der Ausgangspunkt für Systemkritik am deutschen Staat. Beim Mitverfolgen des Stückes wird schließlich deutlich, warum auch der ursprüngliche Titel "Das Ende der Menschheit" eine treffende Charakteristik für eine düstere Botschaft an das Publikum gewesen wäre.

Mit dem vorletzen Stück der frühzeitig beendeten Saison Fort Schreiten versuchte Konstantin Küspert, ein neues Zeitalter heraufzubeschwören und den Menschen die Folgen des Klimawandels plakativ zu demonstrieren.

Der letzte Vorhang der Spielzeit fiel am 11. März 2020 mit Jugend ohne Gott von Ödön von Horváth. Das Werk skizziert die eigene Verantwortlichkeit unter Schweigenden und thematisiert so die Lenkung der öffentlichen Meinung im NS-Regime, weshalb es 1937 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Was Ödön von Horváth vor über 80 Jahren pointierte, sollte in der Inszenierung auf die Gegenwart und die Zukunft der Gesellschaft übertragen werden.

Keine Premiere konnten leider die Stücke Paradies. Fluten. Hungern. Spielen von Thomas Köck, Der Sandmann von Weiler nach E.T.A Hoffmann, Der Kirschgarten von Anton Tschechow und die für die Calderón-Festspiele geplante Aufführung Die Schule der Frauen von Moliére feiern.

Rekordauslastung in der Spielzeit

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge lässt sich die zurückliegende Spielzeit wohl betrachten - lachend, da mit einer 90%-igen Auslastung eine äußerst positive Bilanz gezogen werden kann. Viele Stücke waren ausverkauft, was zeigt, welche kulturelle Bereichung das Theater für die Bambergerinnen und Bamberger darstellt. Nicht nur in Faust1in2, welches als bekanntes Oberstufenstück natürlich prädestiniert für einen Theaterbesuch war, fanden sich vemehrt auch junge Menschen im Vorstellungspublikum. 

Genauso ein Zuspruch ist die Tatsache, dass insgesamt fünf Einladungen für renommierte Theaterfestivals, darunter eine Einladung für Bunbury zu den bayrischen Theatertagen und für Das Deutschland zu den 45. Mülheimer Theatertagen und zu "Radikal Jung 2020", eingingen.

Die Zeit dazwischen - Theater digital

"Wir vermissen Sie, die Zuschauerinnen und Zuschauer, jeden Tag und jeden Tag ein bisschen mehr", schreibt die Intendantin Sibylle Broll-Pape auf der Homepage. Dennoch lässt sich das Theater nicht unterkriegen und möchte spätestens Mitte Mai die Saison 2020/21 vorstellen. Währenddessen wurde das neue Format "ETA@Home" ins Leben gerufen, wo Mitglieder des Ensembles Beiträge für alle Zuschauenden gestalten und diese auf der Website und in den sozialen Medien veröffentlichen. Auch mit Lesungen, die von Der Sandmann bis zu klassichen Märchen für junge Theaterbesuchende reichen, kann man sich die Wartezeit vertreiben. Einige Mitarbeitende des Theaters unterstützen zudem die Stadt durch das Nähen von Masken oder die Mithilfe beim Katastrophenschutz.

Eine Empfehlung für euch ist der Mitschnitt von "Die Elixiere des Teufels" nach E.T.A. Hoffmann in der Regie von Hannes Weiler aus der Spielzeit 2015/16, der bis zum 02. Mai auf Youtube abgerufen werden kann.

Auf eine neue Spielzeit 2020/21 freuen wir uns von Feki.de und wünschen dem Theater für die Zwischenzeit alles Gute!

Bildnachweis: 
Martin Kaufhold