Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums, das die 1918 ausgerufene „Räterepublik Baiern“ dieses Jahr begangen hätte, präsentiert das ETA Hoffmann Theater die gleichnamige Regietheaterproduktion von Sophia Barthelmes und fragt, was die Utopie von Damals uns heute zu denken geben kann.
„Als nächstes spricht zu Ihnen: Ernst Toller!“ Applaus brandet auf (zumindest aus den Lautsprechern) und selbstbewusst betritt der junge Künstler und Weltverbesserer die Bühne. Er lächelt ins Publikum, zuversichtlich, dass er die vor ihm Sitzenden mit seinen Worten überzeugen können wird. Genossinnen, Genossen… ich erzähle ihnen von meiner Vision, unsere Gesellschaft gerechter zu machen.
Obwohl in der heutigen Zeit der unbedingte Wille, die Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen, oftmals nur belächelt wird, ist es unmöglich, sich seiner Passion und Wortgewandtheit zu entziehen. Ewa Ratjak erweckt Toller in diesen knapp eineinhalb Stunden schauspielerisch genial zum Leben, was es zu einem Genuss macht, sie in der Solorolle zu beobachten. Sie füllt mit ihrer Präsenz die Studiobühne samt Zuschauerraum mühelos aus und ihre Energie und Spritzigkeit, die den jungen Toller zu seinen Lebzeiten voran getrieben haben, zieht den Zuschauer immer wieder in ihren Bann.
Aber sie ist nicht allein auf der Bühne; die Performerin Saskia Kaufmann unterstützt, begleitet und unterbricht das Ein-Personen-Stück zu Beginn vereinzelt, dann häufiger mit musikalischen Einschüben, Kommentaren und Soloeinlagen und formt dadurch ein Gegengewicht, ein Kontrastbild zu dem idealisierten, manchmal fast naiven Gedankengut Tollers.
Der Krieg ließ mich zum Kriegsgegner werden.
Die Stückentwicklung bedient sich der Textvorlagen von Ernst Tollers früher Autobiographie und seines Gedichtbandes „Das Schwalbenbuch“. Es überwiegt dabei der Anteil der Autobiographie, aus welcher oftmals lange Passagen sowohl wörtlich, als auch sinngemäß übernommen wurden, sodass der Zuschauer dem jungen Künstler durch seine Zeit als treibende Kraft der Räterepublik folgt. Die Studiobühne ist sehr stilisiert und nicht an allen Enden thematisch erschließbar eingerichtet; übergroße, klatschmohnähnliche Blumen und ein runder Orbit, der je nach Stimmung die Lichtkomposition verändert, dominieren das Bühnenbild. Was die Blumen mit der ganzen Sache zu tun haben? Diese Erklärung wird dem Zuschauer nicht gegeben, jedoch sorgen sie für ein abstraktes und doch stimmiges Bild als Toller während des ersten Weltkrieges im Schützengraben liegt und ihn die Erkenntnis des Menschlichen überkommt – das Menschsein als das Eine und Einende.
Wir müssen menschlich sein!
Der Abend enthält so manche Passagen, die nicht jedem zusagen; und auch nicht jedem zusagen müssen. Ist der zuerst amüsierende, dann etwas langatmige Kniff mit dem Freibierausschank im Publikum nach dem „Revolutionssieg“ wirklich notwendig? Musste die Darstellung der zwei Flugzeugabstürze vor Cartoon-ähnlicher Soundkulisse so komisch, fast schon salopp gespielt werden? Besonders stellt sich die Frage: wo hört Provokation auf und wo fängt Unverschämtheit an, wenn Saskia Kaufmann, nachdem sie in schönstem Österreicher Dialekt schon „Da wurden 200 bis 300 Tausend Leut‘ noch nebenher umgebracht, in Dachau – was scho‘ produktiv is‘!“ zum Verdauen gegeben hatte, eine umgedichtete Schlagereinlage anstimmt mit dem verlockenden Refrain: „Stellt sie alle an die Wand.“ Einfach zu verarbeiten sind diese künstlerischen Handgriffe nicht; gewollt, zweifellos, aber soll man das Theater schockiert oder aufgebracht verlassen?
Als zentraler Punkt ist im Kopf zu behalten, dass die Produktion keine Tatsachen so hinstellt, als wären sie unumstößliche Fakten. Obwohl sich offen an Ernst Tollers Autobiographie und seiner Gedichtsammlung orientiert wurde, ist die Interpretation und künstlerische Umsetzung des Abends genau das – eine Interpretation, die nicht zur Intention hat, den Krieg und sein blutiges Geschäft zu verharmlosen. Auf eine Art erreicht sie sogar das Gegenteil. Doch in erster Linie geht es darum, Fragen zu stellen; und die emotionale Breitseite des Stückes arbeitet diesem Ziel zu.
Abschließend kann gesagt werden: „Räterepublik Baiern!“ ist ein Versuch, sich mit den damaligen Gedanken zu Politik, Gesellschaft und Krieg neu auf der Bühne auseinanderzusetzen und sie aus der heutigen Perspektive zu erforschen – ob und welchen Mehrwert er mit sich bringt, bleibt dem Zuschauer selbst überlassen.
Bild: ETA Hoffmann Theater Bamberg