Vielfältiges, modernes Stück gefangen in klassischer Inszenierung: Am 19.05.2017 feierte das Stück „Drei Winter“ von Tena Štivičićs Premiere im ETA Hoffmann Theater und erlebte dabei seine deutschsprachige Erstaufführung in einer Inszenierung von Sibylle Broll-Pape und Remsi Al Khalisi.
„Drei Generationen starker Frauen haben ihr Familienschiff durch alle politischen Systeme Europas der letzten hundert Jahre gesteuert. Es ist die wechselvolle Geschichte der Familie Kos, die in einem ehemals aristokratischen Haus in Zagreb lebt.“
Das Stück beginnt mit einem Familientreffen im Jahr 2011, am Tag vor der Hochzeit von Lucija Kos (Pina Kühr), an dem sich die gesamte Familie Kos wieder an einem Tisch versammelt. Sogar Tochter Alisa (Ronja Losert) ist aus England angereist, gerät allerdings schon bald wegen unterschiedlicher Wertevorstellungen in eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater. Es geht um die ständige Abwesenheit der Tochter, ihre Homosexualität und ihren Karrierewahn, der ihr bereits die Haare grau färbt.
Bei allen Szenen, die im Jahr 2011 spielen, beweist Tena Štivičićs Feingefühl für authentische Szenen, die die Probleme der modernen Gesellschaft thematisieren. Ob es sich nun um die Schwierigkeiten der älteren Generation mit der modernen Technik handelt, die Infragestellung der Homosexualität von Alisa oder den Vorwurf der Mutter, ihr Mann würde niemals den Tisch decken. Die Familienszenerie wirkt frisch und ehrlich, was für zahlreiche Lacher bei dem gut gelaunten älteren Publikum sorgt.
Insbesondere Volker Ringe brilliert in seiner Rolle als Vlado Kos, einem gutherzigen Vater, der in seinem traditionellen Denken gefangen ist und größte Schwierigkeiten hat, sich auf die Offenheit der neuen Zeit einzulassen.„Ich habe zwei Menschen, die ich nicht verstehe, in einer Welt, die ich nicht verstehe.“ Das unglaublich ehrliche und vertraute Zusammenspiel mit Katharina Brenner als seiner Ehefrau Masha Kos sorgt für zahlreiche Identifizierungsmomente und Komik.
Durch die Zeitwechsel zwischen den Jahren 1945, 1990 und 2011 fokussiert das Stück die Last der Geschichte, die von Generation zu Generation weitergetragen wird. Den Einfluss großer geschichtlicher Ereignisse wie die Konfrontation mit Hitlerdeutschland, das sozialistische Jugoslawien, die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und der EU-Beitritt 2011. Ein Land im Wandel der Zeit mit dem Bestreben, sich in der neoliberalen Welt einzufügen.
In diesem Wandel fokussiert sich das Stück insbesondere auf die Rolle der Frauen aus der Familie Kos. Die Veränderung des Strebens nach Liebe, einer Karriere, einem Zuhause und einer sicheren Zukunft für die eigenen Kinder treibt sie in allen Generationen auf unterschiedliche Weise an. Dennoch eint sie der Drang, das Haus zu behalten, welches Rose Kaiser zugeteilt wird und in welchem deren Mutter bereits als Dienstmädchen gearbeitet hatte. Ein Haus, das drei Generationen starker Frauen geprägt hat. Gerade am Ende, als die Träume und Wünsche der Urgroßmutter und deren Urenkelin gegenübergestellt werden, wird klar, dass die Bedürfnisse und Beweggründe der Figuren sich stark ähneln, obwohl mehr als 50 Jahre sie trennen.
Während die Sprünge zwischen den Jahren mit musikalisch untermalten Übergängen zunächst aufregend und innovativ wirkten, sorgen sie in der zweiten Hälfte des Stückes für einige Längen. Die Inszenierung mit klassischem Bühnenbild und künstlichen Perücken scheint dem Stoff des Stückes überwiegend nicht angemessen. Generell gelingt es dem Schluss nicht, den Spannungsbogen der ersten Hälfte aufrecht zu erhalten und im letzten Moment werden zu viele große Themen wie Privateigentum, Straftaten seitens des Schwiegersohnes und Hochzeitsplanungen durcheinandergeworfen, sodass das Stück an Fokus verliert.
Der Applaus am Ende der Vorstellung ist eher verhalten, allerdings werden die Darstellungen von Pina Kühr, Katharina Brenner und Volker Ringe mit stärkerem Beifall belohnt. Insgesamt ein interessantes Stück, das den Blickwinkel auf die Geschichte Kroatiens und ihren Einfluss auf seine Bewohner lenkt. Das von Angst, Liebe, Wandel und dem Wunsch nach Geborgenheit erzählt. Ein Stück, das auch auf deutschsprachigen Bühnen hohes Potential birgt, allerdings in einer Inszenierung erfasst wird, der es nicht an talentierten Schauspielern, aber an Innovation und Spannungsmomenten fehlt.
"Drei Winter" läuft noch bis zum 18. 06. 2017